Anfänge der jüdischen

Gemeinde

Ob im mittelalterlichen Aurich jüdische Bürger lebten, ist unbekannt. Mit der Verlegung der Residenz von Emden nach Aurich folgten dem Hofstaat auch seine Hoffaktoren. Der erste in Aurich erwähnte Hoffaktor war Calman Abrahams (†1660), der ab 1624 in den Diensten der Ostfriesischen Grafen stand. Zunächst lebte er in Emden und zog um das Jahr 1635 nach Aurich, dem Herrscherhause folgend. Wie an vielen Fürstenhöfen im damaligen Deutschland war seine Aufgabe im Wesentlichen, den Grafen mit Krediten für Waren und Dienstleistungen zu versorgen, die sowohl für private Zwecke als auch für Staatsaufgaben wie zum Beispiel für die Armee benötigt wurden. Außerdem vertrat der Auricher Hoffaktor die jüdischen Bürger Ostfrieslands und ihre Interessen am Grafenhof: Er übernahm die Funktion des Landesrabbiners und war für die jüdische Gerichtsbarkeit zuständig. Außerdem kümmerte er sich um das Eintreiben der Schutzgelder und sonstigen Abgaben an die gräfliche Herrschaft. Ein freies Leben in dem Sinne konnten die jüdischen Bürger damals in Aurich jedoch nicht führen. Sie waren auf die Gunst des Grafenhauses angewiesen. Um in der Grafschaft leben zu dürfen, mussten sie regelmäßig kostenpflichtige, gräfliche Schutzbriefe erwerben, die immer nur wenige Jahre gültig waren. Darüber hinaus waren sie von den Zünften ausgeschlossen, weshalb sie nur Berufe ohne Zunftzwang ausüben durften. In der etwas weniger als 300-jährigen Geschichte wuchs die jüdische Gemeinde von Aurich zu einer der größten in Ostfriesland – um 1930 waren 6,5 % der Bevölkerung Aurichs (etwa 400 Personen) jüdischen Glaubens. Gute Nachbarschaft und kaum antisemitische Übergriffe ließen die Gemeinde wachsen. Die Grafen von Ostfriesland verfolgten schon früh eine sehr liberale „Judenpolitik“ und verlangten nur geringe Schutzgelder von den jüdischen Bürgern.
Die antisemitische Erzählung vom „jüdischen Geldverleiher“ entstand im Mittelalter und hält sich bis heute hartnäckig. Damals wurden jüdische Bürger häufig mit dem Vorwurf konfrontiert, sie hätten wegen eines angeblichen christlichen Zinsverbots das Kreditwesen dominiert. Tatsächlich existierte ein solches generelles Zinsverbot für Christen nie – sowohl jüdische als auch christliche Bürger traten im Mittelalter als Geldverleiher auf. Es erscheint daher unwahrscheinlich, dass christliche Bürger sich bevorzugt an jüdische Geldgeber gewandt hätten, wenn sie bei christlichen Kreditgebern bessere Bedingungen erhalten hätten. Im Mittelalter galten die Fugger und die Medici als die größten Geldverleiher - sie stellten weitaus höhere Kreditsummen zur Verfügung. Darüber hinaus wurden jüdische Geldverleiher des Wuchers – also übermäßiger Zinsforderungen – beschuldigt, was eine weitere antisemitische Erzählung darstellt. Dieses Klischee wurde über Predigten, Bilder und Literatur verbreitet und diente über Jahrhunderte hinweg als Grund für Diskriminierung und Vertreibung.