Reichenturm

Die Reichenstraße wird von zahlreichen, prächtigen Bürgerhäusern gesäumt. Schon bald nach der Stadtgründung entwickelte sich die Reichenstraße zu einer der ersten Wohnadressen der Stadt. Hier lebten Patrizier, die mit Handel entlang der mittelalterlichen Via Regia (auch Hohe Straße genannt) zu Reichtum gelangten. Diese mittelalterliche Fernstraße zählte zu den wichtigsten mittelalterlichen Verbindungen Europas, sie führte vom heutigen Russland bis ins nördliche Spanien. Die genaue Geschichte der Stadtbefestigung Bautzens liegt bis heute im Dunkeln. Es wird vermutet, dass es bereits kurz nach der Stadtgründung im 11. Jahrhundert eine erste Befestigungsanlage gab, welche den heutigen Marktbereich und die Ortenburg umschloss – möglicherweise war es nur ein Schutz aus Holz (Palisadenwall, siehe gestrichelte Linie auf dem Plan unten). Um 1400 war der heute noch in großen Teilen erhaltene Innere Mauerring geschlossen. Zu diesem Inneren Ring gehörte auch der Reichenturm, der am Ende der Reichenstraße steht. Sein genaues Alter ist unbekannt. Die rechteckigen Grundmauern stammen möglicherweise aus den Anfängen der Inneren Mauer. Der auf dem rechteckigen Fundament stehende, runde Turmteil wurde um 1492 vollendet. Direkt an den Turm angeschlossen lag das Reichentor, welches bis zu seinem Abriss im 19. Jahrhundert den Zugang zur Reichenstraße und damit der Stadt sicherte. Immer wieder wurde der Turm durch Krieg oder Feuer zerstört und anschließend wieder aufgebaut. Sein heutiges Erscheinungsbild erhielt der Turm 1718, nachdem er bei einem Brand schwer beschädigt wurde. Das ursprüngliche Fundament des Reichenturmes reichte nur etwa 80 Zentimeter tief in den Untergrund. Zudem wurde der Turm auf relativ lockeren Untergrund errichtet. So kam es dazu, dass sich der Turm langsam neigte und bis heute schief (um etwa 1,44 Meter aus dem Lot) steht – man nennt den Turm daher auch den Schiefen Turm von Bautzen. In der Türmerstube unter dem Dach hängt ein Lot, wo man sich die Neigung ansehen kann. In den 1950er Jahren wurde der Turm durch eine Verstärkung des Fundaments stabilisiert. Daher ist die Neigung des Turmes seitdem stabil, sodass er nicht zu kippen droht. Es ist ein Beispiel, mit welchen Herausforderungen die mittelalterlichen Bauherren zu kämpfen hatten. Damals war das Bauen von Häusern, Kirchen und anderen Bauwerken noch völlig anders als heute. Baugrunduntersuchungen und eine entsprechende Gründung gab es noch nicht. Bevor der Reichenturm gebaut wurde, schachtete man mit Schaufeln und einfachen Spitzhacken ein entsprechend den Vorstellungen ausreichend großes Loch aus und begann dann mit dem Bau des Turmes. Dabei übersah man sicherlich manches mal, wie locker der Boden war, sodass es dann durch das Gewicht des Bauwerkes zu Senkungen kam und der Turm über die Jahre in Schieflage geriet. Zudem kommt noch, dass der Turm mehrfach verändert und erhöht wurde, sodass es zu erneuten Veränderungen des Gewichts und der Spannungen, die auf dem Fundament lasten, kam.
Verlauf der inneren mittelalterlichen Stadtmauer [dunkelgrau] aus dem 14. Jahrhundert. Schon zuvor gab es möglicherweise eine erste Stadtbefestigung (evt. Palisadenwall), die bisher nicht archäologisch nachgewiesen werden konnte [gestrichelt] (nach Schmidt, 1996)
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