St. Johannis
Das mittelalterliche Göttingen hatte nur wenige
Bewohner, im 15. Jahrhundert lebten gerade
einmal 6.000 Menschen in der Stadt. Damit war
Göttingen – im Gegensatz zu Braunschweig und
Lüneburg - eine der kleineren Städte im
Herzogtum Braunschweig-Lüneburg. Daher ist
es verwunderlich, dass es damals sechs große
mittelalterliche Pfarrkirchen und weitere
Klosterkirchen und Kapellen in der Stadt gab,
obwohl Göttingen als kleine Herzogsstadt keine
kirchliche Stadt innerhalb eines Bistums war.
Die Gebäude sind größtenteils alle erhalten und
prägen noch heute die Stadtsilhouette.
Über die Anfänge der mittelalterlichen Kirchen
ist nur wenig bekannt. Bei manchen Kirchen,
wie beispielsweise bei St. Johannis, konnte ein
romanischer Vorgängerbau aus der Zeit der
Stadtentstehung im späten 12. Jahrhundert
belegt werden. Ab dem frühen 13. Jahrhundert
entstanden innerhalb von etwa 180 Jahren in
Göttingen die noch heute erhaltenen
Stadtkirchen. Es bleibt unklar, wie die Stadt
damals diese großen Kirchenbauten finanziert
hat. Es zeigt jedoch auch, welche große
Bedeutung der Glaube und die Kirche damals in
der Gesellschaft gespielt haben.
Natürlich waren die Kirchen zunächst einmal
die Orte, an denen der Gottesdienst stattfand.
Die Menschen gingen täglich in die Kirche, oft
noch vor Arbeitsbeginn. Meist fanden mehrere
Gottesdienste am Tag statt, je nachdem wer die
Kirche besuchte – Landarbeiter und
Handwerker starteten meist früher in den Tag,
als die bürgerliche oder adelige Oberschicht.
Die heutigen Kirchen sind sehr offen mit vielen
Freiräumen innerhalb des Kirchenbaus. Dies
war im Mittelalter ganz anders – damals stand
in jeder Nische ein Altar oder ein anderes
Ausstattungsstück, welches oftmals von den
Zünften, Privatleuten oder dem Stadtrat
gestiftet (gespendet) worden war. Jeder Altar in
der Kirche hatte eine ganz besondere
Bedeutung, welche den damaligen Menschen
auch immer bewusst war. Heute kann man sich
diese Frömmigkeit kaum mehr vorstellen.
Die Kirche St. Johannis hatte im Mittelalter mit
ihrer Lage direkt hinter dem Rathaus eine
herausragende Stellung. Sie war
jahrhundertelang die Ratskirche der Stadt,
wodurch ihr weit mehr Aufgaben als das
Abhalten von Gottesdiensten zukam. Oft
begannen die Ratssitzungen des Stadtrats nicht
im Rathaus, sondern in der Kirche bei einem
gemeinsamen Gebet. Anschließend zog man
entweder in den Ratssaal um oder hielt die
Sitzung gleich in der Kirche ab. Hier hatte man
mehr Platz. Manchmal wurde in der Kirche
sogar Gericht gesprochen und die
Archivunterlagen aufbewahrt, da es hierfür im
Rathaus keinen Platz gab.
Durch die Wirren während der Reformation
und dem Streben nach moderner Ausstattung
im 18. und 19. Jahrhundert gingen zahlreiche
mittelalterliche Ausstattungsstücke für immer
verloren. Der Innenraum der Kirche bekam im
18. und 19. Jahrhundert sein heutiges
Aussehen. Besonders der neogotische Umbau
von 1896/1897 prägte das Kircheninnere
nachhaltig.