Frauen in der

Quantenphysik

Die ehemalige Höhere Mädchenschule hat auch etwas mit der Quantenphysik in Göttingen zu tun. Der Name der Schule ist etwas irreführend, denn der Unterrichtsstoff war im späten 19. Jahrhundert noch lange nicht auf dem gleichen Niveau, wie auf der damaligen Höheren Jungenschule. Bis ins frühe 20. Jahrhundert war es vielen Mädchen verwehrt, eine höhere Schulbildung zu genießen, geschweige denn an einer Universität zu studieren. Und dennoch gab es im frühen 20. Jahrhundert gleich zwei Pionierinnen in diesem Bereich, die Mathematikerin Amalie Emmy Noether (*1882, †1935) und ihre Doktorandin Grete Henry- Hermann (*1901, †1984). Emmy Noether ist eine der bedeutendsten Mathematikerinnen des 20. Jahrhunderts. Obwohl sie ihr ganzes Leben als Frau in einer von Männern dominierten akademischen Welt um Anerkennung kämpfen musste, hatte ihr Wirken erhebliche Auswirkungen auf die Physik und Mathematik. Sie musste beispielsweise jahrelang dafür kämpfen, habilitieren zu dürfen, denn für Frauen war dies im frühen 20. Jahrhundert nicht vorgesehen. Ihre Erlaubnis zum Verfassen einer Habilitationsschrift wurde als Ausnahmeregelung betrachtet, man wollte ja nicht allen Frauen den Zugang zu dieser „Männerdomäne“ erlauben 3 und damit den Männern ihre Karriere verwehren. Die Mathematikerin, Physikerin, Pädagogin und Philosophin Grete Hermann spielte eine bedeutende Rolle in der Weiterentwicklung von Emmy Noethers Ideen und war eine der ersten, die Noethers Arbeiten in der Quantenphysik anwenden konnte. Ihre Betrachtungen zur Struktur der Quantenphysik diskutierte sie auch mit Niels Bohr und Werner Heisenberg, die beide große Achtung vor ihren Ideen und ihrer Leistung hatten. In ihrem 1935 erschienenen Werk „Die naturphilosophischen Grundlagen der Quantenphysik“ übte Grete Hermann Kritik an John von Neumanns Beweis zur Widerlegung versteckter Variablen – einem Argument, das bis dahin als unanfechtbar galt. Sie entdeckte einen grundlegenden Fehler in den Annahmen des Beweises. Dennoch blieb ihre Analyse weitgehend unbeachtet. Im Jahr 1936 erhielt Grete Hermann den „Richard Avenarius-Preis“ der Sächsischen Akademie in Leipzig für ihre Arbeit „Welche Konsequenzen haben die Quantentheorie und die Feldtheorie der modernen Physik für die Theorie der Erkenntnis?“. Werner Heisenberg setzte Grete Hermann in seinem Buch „Der Teil und das Ganze“ ein Denkmal. Erst 1966 fand ihre Argumentation durch die Arbeit von John Stewart Bell, der ähnliche Überlegungen anstellte, größere Beachtung und führte zur breiteren Anerkennung der Schwächen in John von Neumanns Beweisführung. Die geringe Resonanz auf Hermanns Kritik wird auf mehrere Faktoren zurückgeführt: Zum einen war der Publikationsort kaum bekannt und daher etwas unglücklich gewählt. Zum anderen hatte sie es als Frau und Philosophin - verbunden mit dem Ansatz, die Fragestellung philosophisch zu analysieren – schwer, Beachtung zu finden. Hinzu kam die enorme Autorität John von Neumanns und das Festhalten vieler Anhänger der Kopenhagener Deutung an seiner Schlussfolgerung.

3

Marg und Walter (2012), S. 76

Zwischen 1880 und 1913 war in diesem Gebäude die Höhere Mädchenschule. Das neue Schulgebäude hatte elf Klassenzimmer, einen eigenen Physikraum, eine Aula, ein Lehrerinnenzimmer und eine Turnhalle.