Rund um die Ludgerikirche

Die Kirchengeschichte von Norden ist etwas komplizierter, denn Norden war nicht nur ein wichtiger Handelsort, sondern gleichzeitig das Verwaltungszentrum des Norderlandes und damit der umliegenden Dörfer. Es ist einer der Gründe, weshalb Norden schon bald nach der ersten Erwähnung einen städtischen Charakter hatte (vgl. Station 1). Als zentraler Marktort kamen die Bauern der Umgebung nicht nur für den Markt / Handel nach Norden, sondern auch für die Kirche. Daher gab es auf dem Norder Marktplatz jahrhundertelang zwei Kirchen – eine städtische und eine für das Norderland. Die Ludgerikirche steht an der höchsten Stelle der Stadt. Vieles über ihre Anfänge ist bis heute unklar, möglicherweise reichen sie bis in die Zeit der Christianisierung der Region im 8. Jahrhundert zurück. Benannt ist sie nach dem heiligen Liudger (auch heiliger Ludger geschrieben, *um 742, †809). Er war der erste Bischof von Münster und ist der Apostel der Friesen und Schutzheiliger des Norderlandes. Es ist unklar, ob er auch die Ludgerikirche selbst gegründet hat. Zunächst stand hier eine hölzerne Kirche. Um das Jahr 1235 wurde mit dem Bau einer steinernen Kirche begonnen. Die Ludgerikirche war die Sendkirche des Norderlandes. Hinter der Ludgerikirche liegt heute der alte Friedhof rund um einen verdächtigen Hügel. Es ist eine alte Warft, ein künstlich aufgeschütteter Erdhügel. Oben auf dieser Warft stand jahrhundertelang die Andreaskirche, die Pfarr- und Stadtkirche Nordens. Auch sie wurde bereits zu Zeiten der Christianisierung im 8. Jahrhundert errichtet. Im 12. Jahrhundert wurde die hölzerne Andreaskirche zu einer Kirche aus Stein umgebaut. Im Laufe der Zeit verlor die Andreaskirche gegenüber der Ludgerikirche zunehmend an Bedeutung. Mehrere Stürme des 13. und 14. Jahrhunderts hatten dem Bau bereits damals zugesetzt. Während der Geldrischen Fehde wurde die Andreaskirche, wie auch viele weitere städtische Gebäude Nordens, im Jahr 1531 von Balthasar von Esens (Häuptling des Harlingerlandes, †1540) fast völlig zerstört. Da die Ludgerikirche nicht städtisch war und zudem die Reformation bisher verwehrt hatte, blieb sie wahrscheinlich verschont. Mehrere Versuche, die Andreaskirche wiederaufzubauen scheiterten. Schon bald war die Kirchenruine zu einem Steinbruch verkommen, um 1723 verschwanden die letzten Reste des Turmes. Mit etwa 80 Metern Länge ist die Ludgerikirche die längste erhaltene Kirche Ostfrieslands. Der älteste Teil des heutigen Kirchenbaus, das Langhaus, stammt aus der ersten Hälfte 13. Jahrhundert (1200/1220 bzw. 1230/1250) und wurde im romanischen Stil errichtet. Es entstand eine rechteckige Einraumkirche aus Backsteinen. Im frühen 14. Jahrhundert entstand der Kirchturm abseits des Kirchenschiffs. Für die mittelalterlichen Kirchen Ostfrieslands ist es ganz typisch, dass der Kirchturm nicht direkt an die Kirche angebaut ist, sondern etwas abseits errichtet wurde. Man hatte Bedenken, dass bei Geläut der schweren Turmglocken der weiche Boden nachgeben würde und die Kirche Risse bekäme. Mit dem abseitsstehenden Kirchturm müsste man beim Absinken des Turmes im Zweifelsfall nur den Kirchturm neu errichten und nicht gleich die ganze Kirche. Im frühen 14. Jahrhundert wurde das gotische Querschiff errichtet. Nur etwa 100 Jahre später stürzte das Querhaus ein. Anschließend entstand das heutige Querschiff mit den deutlich verstärkten Pfeilern. Der sicherlich beeindruckendste Teil der Kirche ist der um 1455 fertiggestellte Hochchor, den wahrscheinlich der Häuptling Ulrich Cirksena (*um 1408, †1466) errichten ließ. Wer der Baumeister dieses wunderschönen Chores ist, bleibt unbekannt. Da der Chor große Ähnlichkeiten mit der Martinikerk in Groningen (Niederlande) hat, wurde er wahrscheinlich von einer wandernden Bauhütte errichtet. Bis heute überragt der Hochchor das Langhaus und ist ein Blickfang vom Marktplatz aus.
Das Verschwinden der Andreaskirche nach den Zerstörungen durch Baltasar von Esens beschäftigte sogar kurz den Hamburger Rat. Die beiden Kirchtürme von der Andreaskirche waren nämlich jahrhundertelang wichtige Seezeichen für die Schifffahrt. Damals fuhren die meisten Schiffe an der Küste entlang und orientierten sich an bedeutenden Wegmarken, wie beispielsweise hohe bzw. besondere Kirchtürme.
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Ludgerikirche mit Kirchturm
Lage der damaligen Andreaskirche mit Vorgängerbau aus dem 12. Jh. (gestrichelt)