Schiefes Haus
Auf der anderen Seite der Blau steht das
Schiefe Haus, eines der schönsten und
interessantesten Fachwerkhäuser Ulms. Die
genaue Baugeschichte des Hauses ist bis heute
nicht abschließend geklärt. Umfassende
archäologische Untersuchungen Mitte der
1990er Jahre lieferten viele neue Erkenntnisse,
warfen jedoch auch neue Fragen zum Alter des
Hauses auf. Es zeigt, wie schwer letztlich die
genaue Altersbestimmung eines
mittelalterlichen Hauses ist. Man findet zum
Alter mittelalterlicher Wohnhäuser nur ganz
selten schriftliche Unterlagen. Meist bleibt
einem nur die Bestimmung des Alters der im
Haus verbauten Balken, wobei diese natürlich
auch bei einem Umbau ausgetauscht worden
sein könnten.
Für eine Altersbestimmung eines Holzbalkens in
einem Fachwerkhaus nutzt man die sogenannte
Dendrochronologie – die „Lehre vom
Baumalter“. Beim Wachsen eines Baumes
entsteht jedes Jahr ein Jahresring, der sich im
Holz/Stamm des Baumes verewigt. Jeder
Jahresring ist ein Abbild für das Wetter in dem
jeweiligen Jahr – beispielsweise wie
trocken/nass das Jahr war. Dadurch entsteht
ein ganz charakteristischer Ring. Kein
Jahresring gleicht einem anderen. Man nutzt
eine zeitliche Abfolge von Jahresringen, um
eine „Zeitskala“ zu erstellen: die sogenannten
Jahresringtabellen. Vergleicht man nun die
Abfolge der Jahresringe in dem Stück Holz,
dessen Alter man bestimmen möchte mit der
Jahresringtabelle, kann man das Jahr, in dem
der Baum geschlagen wurde, genau
bestimmen.
Ursprünglich lag das Haus/der Bauplatz des
schiefen Hauses vor der staufischen
Stadtmauer. Offiziell wird das Hausalter auf das
15. Jahrhundert datiert (um 1443), jedoch
wurden bei archäologischen Untersuchungen
Scherben gefunden, die 200 bis 300 Jahre älter
sind, sodass die Frage bleibt, ob hier schon
deutlich früher ein Haus stand. Es zeigt, wie
unheimlich schwer es ist, das Alter eines
Hauses zu bestimmen. Auf jeden Fall wurde das
heutige Haus um 1443 errichtet/umgebaut.
Man muss kein Perfektionist sein, um zu
erkennen, dass hier etwas schief ist. Die
Südseite des Gebäudes neigt sich um etwa 10°
– genauer gesagt ist der nördliche Hausbereich
ganze 1,50 Meter höher als der südliche Teil.
Ein Grund für diese erhebliche Schiefstellung ist
der morastige Bauuntergrund direkt am Fluss.
Das Gewicht des Hauses führte zu einem
Absenken des flussseitigen Fundaments.
Erst mit der Sanierung in den 1990er Jahren
konnte das Abrutschen des Hauses verringert
werden. Zusätzlich führte die ursprüngliche
Konstruktion zu dieser erheblichen
Schiefstellung des Hauses. Die oberen
Stockwerke des Hauses ragen - typisch für
viele mittelalterlichen Fachwerkbauten - über
die unteren Etagen. Man spricht von einer
vorkragenden Bauweise. Die oberen Etagen
waren etwas größer als die darunterliegenden
Geschosse, sodass die Bewohner etwas mehr
Wohnraum hatten. Außerdem schützten die
oberen Etagen das Fundament vor Tropfwasser.
Am Schiefen Haus betrug der Überstand jedoch
nicht nur wenige Zentimeter, sondern fast zwei
Meter, sodass das Haus sich schon deswegen
neigte. Es ist unklar, warum solch ein
Dachüberstand im 15. Jahrhundert, genehmigt
wurde. Eigentlich hatte der Ulmer Stadtrat ab
1376 die vorkragende Bauweise verboten und
mit hohen Strafen bei Nichtbeachtung belegt.
Möglicherweise wurde der Bau des damaligen
Hauses jedoch nicht als Neubau, sondern als
Umbau gewertet, sodass es vielleicht so zu der
Konstruktion kam. Manche Fragen werden
jedoch aufgrund fehlender oder nie erstellter
Bauunterlagen beantwortet werden.
Seit der Sanierung in den 1990er Jahren ist das
Haus trotz seiner Neigung stabil und damit
standsicher. Der heutige Besitzer muss jedoch
aufgrund des Denkmalschutzes mit den
krummen Wänden und vor allem mit den
schiefen Böden im ganzen Haus leben. Heute
wird es als Hotel genutzt und gilt als schiefstes
Hotel der Welt, es hat auch einen
entsprechenden Eintrag im Guinness Buch der
Rekorde.