ehemaliges jüdisches Haus
Das „Jüdische Haus“ wurde um 1620 errichtet
und war wahrscheinlich ein Wohnhaus eines
jüdischen Händlers oder Fischers. Über dem
Hauseingang sieht man einen hebräischen
Spruch. Übersetzt bedeutet er: „Das Glück
möge sich vermehren, Amen. So möge es
(Gottes) Wille sein. Schim`on Sohn des
Kalanymos. (Dieses Haus) wurde fertiggestellt
am Montag, 26. Kislew (5)381” (= 21. Dez.
1620).“
Die jüdische Geschichte Wanfrieds beginnt im
16. Jahrhundert: im Jahr 1573 werden zwei
jüdische Familien erwähnt: damals gab es in
Wanfried 177 Haushalte
1
. Im Jahr 1608, als
Wanfried zur Stadt erhoben wurde, lebten
schon 35 jüdische Familien in Wanfried. Die
damals in der Stadt lebenden jüdischen
Mitbürger waren jedoch keine freien Bürger,
sondern standen unter dem Schutz und vor
allem der Überwachung des damaligen
Landgrafen (Schutzjuden). Ihnen wurde
beispielsweise vorgeschrieben, wo sie in der
Stadt zu leben haben: das jüdische „Ghetto“
befand sich rund um das Schloss im Bereich
der Windgasse, dem Steinweg, der Kleinen
Gasse, und der Straße „Vor dem Schloss“.
Diese strikten Vorgaben für die damaligen
jüdischen Bürger zeigen, wie weit verbreitet
und gesellschaftsfähig der Antisemitismus
bereits im Mittelalter war. Ab dem Mittelalter
und bis ins 19. Jahrhundert war das
Christentum Staatsreligion im Heiligen
Römischen Reich und dem späteren
Kaiserreich, wobei es nur für Gläubige der
jüdischen Religion Ausnahmen gab.
Während des Dreißigjährigen Krieges wurde
auch die Zerstörung eines jüdischen Betsaals
bzw. einer Synagoge dokumentiert. Demnach
bestand mindestens seit dem frühen 17.
Jahrhundert ein Betsaal oder eine Synagoge in
Wanfried.
Zunächst stand die Synagoge von Wanfried in
der Steinstraße (um 1743 erwähnt), ab dem
19. Jahrhundert befand sich die Synagoge dann
rechts neben dem „Jüdischen Haus“ im Bereich
der heutigen Garagen. Um 1890 kam es zu
einem Neubau der Synagoge. Im Jahr 1937,
während der NS-Zeit, enteignete die Stadt die
jüdische Gemeinde, ein Jahr später kaufte ein
Bürger aus Wanfried das Gebäude der
Synagoge und ließ es kurzerhand abreißen. Die
dadurch gewonnenen Steine nutzte er für den
Bau eines Hauses an anderer Stelle. Die um
1937 in Wanfried lebenden jüdischen Mitbürger
wurden entweder vertrieben oder in einem der
Konzentrationslager ermordet.
Bis heute klafft an der Stelle der ehemaligen
Synagoge eine Baulücke. Garagen stehen dort,
wo einst jüdisches Leben pulsierte. Es zeigt,
wie nachlässig und geschichtsvergessen
Deutschland teilweise bis heute mit seinem
bedeutenden jüdischen Erbe umgeht. Wie
würdest du darüber denken, wenn man eine
Kirche abreißt, um endlich dringend benötigten
Parkraum zu schaffen? Es wird Zeit, dass wir
uns gerade jetzt unserer Verantwortung
bewusst werden und uns mit unserer
Vergangenheit mehr auseinandersetzen.
Reich verziertes Fachwerkhaus in Rähmbauweise:
Schiffskehlen mit eingelegten Rundstäben [1],
unterschiedlichen Taubandornamenten [2] und
hebräischer Inschrift [3].
1
Historisches Ortslexikon für Hessen. (Stand: 15. August 2023). In:
Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS)
Abbildung der früheren Synagoge
Skizze: F. Sendelbach, 1891