„Klein Venedig“

Dieser malerische Platz wird im Volksmund „Klein Venedig“ genannt. Es ist kein Nebenarm der Oker, sondern der letzte erhaltene, künstlich geschaffene Kanal des damaligen Grachtensystems der Heinrichstadt aus dem 16. Jahrhundert. Bis ins 16. Jahrhundert lag die bürgerliche Stadt direkt neben dem Schloss im heutigen Schlossbezirk. Wie der mittelalterliche Verlauf der Oker vor dem Bau des Grachtensystems ausgesehen hat, ist heute nicht mehr zu rekonstruieren. Jedenfalls lag die damalige Siedlung auf einer Insel in der Oker, umgeben von sumpfigem, morastigem Gebiet. Bevor also die Heinrichstadt angelegt werden konnte, musste der Bereich mit Sand und Kies aus dem Harz aufgefüllt werden, um einen stabilen Untergrund zu schaffen. Zunächst wurde die Oker zwischen Harz und Wolfenbüttel schiffbar gemacht und mehrere Schleusen wurden errichtet. Um das Jahr 1575 war diese Arbeit abgeschlossen und man legte das Grachtensystem an und plante die Straßenzüge mit Brücken über die neuen Wasserwege. Anschließend wurden die Stadtbereiche nach und nach bebaut. Daher können die ältesten Bauten der Heinrichstadt maximal aus dieser Zeit stammen. Die Kanäle dienten jedoch nicht nur als Transportweg und Abwasserkanal, sondern auch zur Trinkwasserversorgung. Damals gab es noch keine Trinkwasserleitungen, die das Wasser direkt ins Haus leiteten. Stattdessen entnahmen die Bürger ihr Trink- und Brauchwasser fürs Kochen, Waschen und Reinigen aus den Kanälen. Außerdem nutzte man das Wasser zum Löschen von Bränden in der Stadt. Anders als in vielen anderen Städten des Mittelalters gab es im mittelalterlichen Wolfenbüttel keine Brunnen. Nur das Schloss verfügte bereits früh über eine Wasserleitung, die frisches Quellwasser in die Schlossküche führte. Durch die Entsorgung von Abwässern verschlammten die Kanäle zunehmend. Die Wasserwege wurden im 18. und frühen 19. Jahrhundert zu großen Teilen verfüllt. Man benötigte sie nicht mehr.
Schlossbezirk Heinrichstadt
Verlauf der Wasserwege und Besiedelung im 16. Jahrhundert (verändert, in Anlehnung an die Druckvorlage zu Thöne 1952)
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Verlauf der Wasserwege im 16. Jahrhundert (verändert, in Anlehnung an die Druckvorlage zu Thöne 1952)